Was vor 10.000 Jahren funktioniert hat, kann heute nicht falsch sein...
Verfolgt man neuro-biologische,
psychologische und andere (natur- und populär-) wissenschaftliche
Studien, die sich mit der Bestimmung der Geschlechtscharaktere von
Männern und Frauen (!) beschäftigen – um Verhaltensunterschiede
festzustellen natürlich –, gerät die theoretische Rahmung der
Befunde auffällig häufig zu einem Exkurs in die Frühstgeschichte
der Menschheit: eine bestimmte Rollenverteilung unter den
Geschlechtern sei durch die Evolution bedingt und habe seit
menschengedenken die und die Aufgabe erfüllt. Beispiele findet ihr hier (maskulinistisch), hier, hier (sexuelle Übergriffe sind evolutionär bedingt – na dann ist ja nicht so schlimm!) und, ganz aktuell, hier.
Meist klingt das auch
alles sehr plausibel: warum sollten z.B. Männer nicht das bessere
räumliche Vorstellungsvermögen haben, wenn sie als Jäger und
Sammler den ganzen Tag im Raum unterwegs waren, während Frauen
immobil das Feuer bewachten? Das ist doch logisch. Erstaunlich
logisch und erstaunlich vertraut. Warum auch nicht, wo wir doch durch die Familie Feuerstein quasi
allesamt Steinzeitexpert_innen sind? Das Problem an
frühgeschichtlichen Erklärungen für gegenwärtige Phänomene ist
allerdings: sie sind zwar nicht aus der Luft gegriffen, verdrehen aber Ursache und Wirkung.
So biologisch... |
Da liegt doch der Schluss nahe, dass
die Mär von der evolutionären Notwendigkeit und der Versicherung,
Geschlechtsunterschiede und Rollenzuweisungen seien irgendwie "natürlich" (biologisch), letztlich
nichts anderes darstellt als eine Rückspiegelung der gegenwärtigen
sozialen Verhältnisse auf die an sich weiße Leinwand
der „Urzeit“. Weil ein Großteil der bisher bekannten
Menschheitsgeschichte mehr oder weniger zwischen Geschlechtern
unterschieden und/oder Männern die öffentliche Sphäre zugewiesen
hat, argumentieren Evolutionstheoretiker_innen, dass es „immer
schon“ so war. Ihre wissenschaftliche Basis dafür bildet
interessanterweise allerdings nicht die Frühgeschichte oder
Archäologie, wie man wohl erwarten könnte, sondern (und jetzt wird
es richtig abwegig) Studien, die sie – naheliegenderweise – unter
Zeitgenoss_innen durchgeführt haben. Mit anderen Worten: aus den
Charakterprofilen, Verhaltensweisen, Einstellungsmustern usw. von
Personen des 20. und 21. Jahrhunderts (und Soziolog_innen würden
hinzufügen: Personen, die ihrer gesellschaftlichen Umwelt
entsprechend sozialisiert wurden) ziehen
Evolutionswissernschaftler_innen Rückschlüsse darauf, wie Menschen
schon immer waren und immer sein werden. Zur Illustration ihrer
Ergebnisse greifen sie zurück auf den prähistorischen Zustand, der
– genau! – in der Logik des modernen Verständnisses von
Geschlecht definiert wird. Wir lernen: die Steinzeit ist heute und
Fred Feuerstein hat recht. Ja, was heute stimmt kann damals nicht so
falsch gewesen sein...
Anmerkung vom 4. Juni 2012: die Mädchenmannschaft hat mich auf diesen schönen Artikel über Neurosexismus aufmerksam gemacht.
Anmerkung vom 4. Juni 2012: die Mädchenmannschaft hat mich auf diesen schönen Artikel über Neurosexismus aufmerksam gemacht.
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