Nicht der Mann, der die Revolution ruinierte, sondern der Mann, den die Revolution ruinierte.
Peter McPhee: Robespierre. A revolutionary Life – Book Review.
Es sieht aus, als sei Robespierre
wenigstens seit 50 Jahren mehr oder weniger der französische
Lieblingsrevolutionär der Historiker_innen des angelsächsischen
Sprachraumes. Zumindest sind es jene, die in den letzten Jahrzehnten
die interessantesten Arbeiten über Leben und Zeit Robespierres sowie zum Verständnis
seiner Persönlichkeit vorgelegt haben; mit Ausnahme der „Amis de
Robespierre pour le Bicentenaire de la Révolution“, die eine
beispiellose Fülle von Quellen freigelegt haben, ohne die die Interpretationen natürlich gar nicht erst möglich gewesen wären.
Die neueste Biographie über Maximilien Robespierre stammt folglich wieder aus dem angelsächsischen Raum:
Der australische (Sozial-)Historiker und Experte der französischen
Geschichte seit 1789, Peter McPhee, hat mit „Robespierre – A
revolutionary Life“ eine Lebensbeschreibung vorgelegt, die es sich,
nicht als erste, aber – wie mir scheint –
erfolgreicher als frühere Versuche, zum Ziel gesetzt hat, den Menschen Robespierre vom
Mythos des Revolutionärs, des Chefideologen der Terreur, des
unbeugsamen, „unbestechlichen“ Verfechters der „Tugend“ zu
befreien, und in ihm vielmehr den Mann zu sehen, den „das Chaos der Jahre
nach 1789 […] wie alle Bewohner_innen Frankreichs, in eine nie da
gewesene, unvorhergesehene Welt der Revolution, Angst und
Unsicherheit“ (xviii; meine Übersetzung) geworfen hat.
Robespierre, der „Unbestechliche“, so McPhee, ist das Ergebnis des Kindes und Schülers Derobespierre aus Arras und in Paris und des jungen Anwalts de Robespierre aus der artesischen Provinz. Entsprechenden Raum müsse daher den ersten 31 Jahren seines Lebens gegeben werden, die zwar – nicht überraschend – wenig bekannt seien, aber offenbar dennoch genügend Anhaltspunkte bieten, um die Grenze aufzuheben, die den Menschen Robespierre vom Politiker trennen (ebd.).
Der Autor widmet darum immerhin vier der
zwölf Kapitel, knapp 60 von 220 Seiten, den Jahren vor 1789 und
entfaltet so, allen Lücken zum Trotz, das Panorama einer von
tiefgreifendem sozialen, wirtschaftlichen und baulichen Wandel
gezeichneten französischen Provinz und einer nicht weniger
dynamischen Hauptstadt, an deren Grenze zwischen Bildungs- und
Handwerksbürgertum der intelligente und willensstarke, aber auch
sensible und schüchterne Maximilien Robespierre heranwächst und als
junger Anwalt und Akademiker wirkt. Wo Quellen über seinen bzw. von seinem Helden fehlen, etwa Tagebücher oder persönliche Briefe, verzichtet McPhee auf Spekulationen. Bezüglich
einiger heiß diskutierter Unbekannten, namentlich der Bedeutung des
Todes der Mutter und der frühen Familienverhältnisse, als auch dem Rätsel, warum Robespierre keine eigene Familie gegründet hat, trägt
McPhee zwar die einflussreichsten Mutmaßungen der Geschichtsschreibung zusammen, ohne jedoch einer Lesart den
Vorzug zu geben. Stattdessen besteht er darauf, dass man die
Wahrheit mangels Quellen schlicht nicht wissen könne (5f.; 48f.).
Die Verweigerung von Spekulationen, für die letztlich jeglicher Anhaltspunkt fehlt, hat indes zur Folge,
dass McPhee, anders als viele Biograph_innen vor ihm, Robespierre
wirklich als Mensch ernst nimmt. Er psychologisiert und pathologisiert ihn nicht, wie viele Biograph_innen vor ihm, die teilweise in jedem galanten, à la mode verfassten Brief Robespierres Gehemmtheit oder Unzulänglichkeit (Max Gallo), und in einem falsch orthographierten Eigennamen – im 18. Jahrhundert übrigens keine Seltenheit – einen Wunsch nach Kastration (Jean Artarit; s.a. hier, Abschn. 1) bemerkten. Es kommt immer wieder vor (und bei Robespierre scheinbar öfter als bei anderen), dass der_die Biograph_in seine/n_ihre/n eigene_n Held_in nicht versteht. Da liegt es nahe, Zuflucht in weiter oder näher hergeholten Theoremen (etwa Psychopathologie) zu suchen, oder, wie Ruth Scurr, gleich zuzugeben, dass Robespierre „bemerkenswert seltsam“ sei (zit. nach McPhee, 203). Es sei dahingestellt, ob eine solche Verfahrensweise dem_der Held_in wirklich gerecht wird. McPhee jedenfalls nimmt davon ganz Abstand, er zeigt Respekt für das Leben und Wirken Robespierres, ohne sich in müßigen Vermutungen darüber zu ergehen, was dieser nun warum unterlassen habe. Dieser Respekt, diese Sympathie für den Protagonisten seiner Biographie gestattet ihm, Facetten in Robespierres Leben und Wirken zu erkennen, die bislang zwar bekannt waren, aber seltsam unterbelichtet blieben.
So bekräftigt McPhee immer wieder,
dass Robespierre in ein recht weitläufiges Netzwerk von
Freundschaften eingebunden war, die meist über mehrere Jahre
Bestand hatten und die Robespierre selber, so gut es seine
Arbeitsbelastung zuließ, pflegte. Zu den Freund_innen Maximiliens
gehörten natürlich die bekannten Saint-Just, die Duplays
(insbesondere Vater Maurice und Eléonore), die Desmoulins, Danton,
Couthon und Le Bas. Eine viel zentralere Position weist McPhee
allerdings dem Arraser Freund Antoine Buissart und seiner Frau
Charlotte zu, die seit den Anfangsjahren als Anwalt und die gesamte
Revolution hindurch bis zu Robespierres Tod eine enge und aufrichtige
Freundschaft zu ihm unterhielten. Neben vielen anderen Pariser
Freund_innen erwähnt der Autor insbesondere François-Pierre Deschamps, für dessen 1792 geborenen Sohn Maximilien-François
Robespierre Pate stand. Seither bestand eine Freundschaft zwischen
den beiden Männern, an der auch Deschamps Frau Catherine und
Maximilien-François' Patin, Rosalie Vincent, teil hatten. Ebenfalls interessant: unter
den Freund_innen des „Unbestechlichen“ fanden sich auffallend
viele Frauen. Neben den oben genannten und den Frauen seiner Familie,
namentlich Tanten und Schwester(n), zu denen Maximilien
offensichtlich ein enges Verhältnis hatte, gehörten zu seinen
Freundinnen auch Mademoiselle Dehay (McPhee schreibt sie „Duhay“,
scheint mir damit aber der Einzige zu sein) aus Béthune und
Jeanne-Marguerite Chalabre aus Paris. Letztere legt, als politische
Freundin, immerhin zweierlei nahe: 1., Robespierre hatte wohl nicht
unbedingt etwas gegen Frauen, die sich an politischen Diskussionen
beteiligten (wenngleich er offenbar auch gar nicht erst auf den
Gedanken kam, ihnen das Wahlrecht zuzugestehen), und er war 2.
durchaus in der Lage, von der sozialen Herkunft eines Menschen zu
abstrahieren: Mme Chalabre entstammte ursprünglich dem Hochadel.
Einen weiteren kleinen Schwerpunkt
setzt McPhee auf die familienpolitischen Ansichten Robespierres.
Dessen romantisches Ideal einer Familie, die von gegenseitiger
Zuneigung geprägt ein Hort der Wärme, aber auch der
republikanisch-moralischen Formation ist, lässt sich unschwer in
verschiedenen Reden, beispielsweise in denen zur Bildung (29. Juli
1793/ 11. Thermidor an I) und über seine religiösen und moralischen Vorstellungen (7.
Mai 1794/ 18. Floréal an II) erkennen. Sein Biograph hebt allerdings zudem das bereits
vor der Revolution beginnende Engagement für die rechtliche
Gleichstellung unehelich geborener Kinder hervor (siehe auch hier). Robespierres
Beschäftigung mit diesem Thema ging aus der Teilnahme an einer
Preisausschreibung der Akademie von Metz im Jahre 1784 hervor, in der gefragt wurde, ob es gerecht sei, Kinder und andere Familienmitglieder von
Verbrecher_innen ihrer bürgerlichen Rechte zu berauben. Die
ursprüngliche Frage zielte offensichtlich auf die Übertragung der
Schuld schwerwiegender Verbrechen auf die Familie des_der
Deliquent_in ab, wie sie in Frankreich etwa im Zuge der Verurteilung
Damiens noch getätigt wurde. Robespierre aber erweiterte die Frage in
einer Rede vor der Arraser Akademie um die Frage, ob es rechtens sei,
unehelich geborene Kinder für die „Sünden ihrer Väter zu zeihen“
(zit. nach McPhee, 39) und ihnen bürgerlichen Status zu verwehren.
Zwei Jahre später, anlässlich seiner Wahl zum Präsidenten der
Akademie von Arras 1786, griff Robespierre das Thema erneut auf und
„sprach ,sieben Viertelstunden langʻ
über ,die Rechtsprechung in Bezug auf die Rechte und Lebensumstände
von Bastardenʻ.“ (43)
Hierin geißelte er nicht nur die ungerechte Rechtssprechung, der
unehelich geborene Kinder unterworfen waren, sondern bereits die
soziale Ungleichheit, die überhaupt erst die Ursache dieser und
anderer „Vergehen“ darstelle (ebd.). Die persönliche
Betroffenheit des halb-unehelich geborenen Redners wird den Zeitgenoss_innen
nicht verborgen geblieben sein, allerdings äußerte sich Robespierre
mit keinem Wort über seine eigene Herkunft. Sein Plädoyer für die
Gleichberechtigung unter Geschwistern, diesmal mit dem Fokus der
Gleichstellung zwischen Töchtern und Söhnen im Erbrecht,
wiederholte er fünf Jahre später in der Nationalversammlung (88).
Relativ
viel Raum – drei Kapitel – widmet McPhee dem letzten Jahr
Robespierres. Er zeichnet darin das Portrait eines völlig
erschöpften Mannes, der bereits im Juli 1793 erklärt hatte: „Ich habe nicht mehr die
Kraft, gegen die aristokratischen Intrigen zu kämpfen. Von vier
Jahren schwieriger und fruchtloser Arbeit erschöpft, fühle ich,
dass meine physischen und moralischen Quellen dieser großen
Revolution nicht genügen, und ich erkläre, dass ich zurücktreten werde.“
(158) Die Ermordung Marats und der desolate Zustand der bedrohten
Republik mögen ihn davon überzeugt haben, dass es dennoch notwendig
war, sich weiter zu engagieren, doch der Robespierre, der aus dieser moralischen Krise aufstand, bewegte sich am Rande des physischen und psychischen
Zusammenbruchs. Zunehmend auf die Arbeit persönlicher Vertrauter
angewiesen (was dann später den Gerüchten um „seine“ Diktatur
Tor und Tür öffnete), von immer häufigeren und langwierigeren
Krankheiten an Haus gefesselt, schließlich auch persönlich
betroffen vom schmerzlichen Kampf gegen die ehemaligen Freunde Danton
und Desmoulins, verlor Robespierre zunehmend diejenigen Fähigkeiten,
die in den Jahren zuvor seine Stärke gewesen waren, sein taktisches
Geschick, seine Weitsicht und das unbedingte Festhalten an seinen
humanistischen Idealen (206). „Von März [1794] an“, schreibt McPhee,
„stand seine Leistungsfähigkeit als Führer [capacity for
Leadership] im Widerspruch zu seinem Status und Ansehen.“ (188) Im
Klima der Erschöpfung, der Anschuldigungen seitens seiner (nicht
minder erschöpften) Kollegen, der Angst vor Anschlägen,
gleichzeitig aber auch der außen- und innenpolitischen
Konsolidierung, insbesondere nach dem Sieg bei Fleurus (16. Juni
1794/ 28. Prairial an II), scheint Robespierre schließlich die politische Orientierung verloren zu haben,
woraus letztlich die völlig irrationale, strategisch katastrophale
Rede vom 8. Thermidor (26. Juli 1794) resultierte. Die in der Folge entstehende Allianz der Gruppen von Abgeordneten, die sich – zu
Recht oder auch nicht – in Lebensgefahr wähnten, schließlich auch
Robespierres Anklage gegen den Finanzkommissar Joseph Cambon,
schwerlich ein Kandidat für begründeten Korruptionsvorwürfe,
gewann im Laufe der folgenden 24 Stunden eine tödliche Eigendynamik,
die durch sachliche Argumente (wie sie z.B. Saint-Just in seiner
ungehaltenen Rede vom 9. Thermidor hätte liefern können) nicht
aufgehalten hätte werden können. „Es gab so viele Fraktionen und
Ängste, dass die Angst nur dadurch beendet werden konnte, indem man
Robespierre als Sündenbock gebrauchte.“ (216f.) McPhee
interpretiert somit den Sturz Robespierres nicht als Folge der
persönlichen Eigenschaften oder Taten Robespierres – sich auch hier von früheren Biograph_innen unterscheidend –, sondern als die Durchschlagung des gordischen Knotens einer unmöglichen Situation, in der Robespierre als Menschenopfer diente.
Peter McPhee: Robespierre. A revolutionary Life. Yale University Press: New Haven and London, 2012. ISBN: 978-0-300-11811-7; Verlaginfo hier.
Nachtrag: Annie Jourdan hat eine lesenswerte Rezension zu McPhees Biographie verfasst, in der sie u.a. darauf hinweist, dass Robespierre letztlich über sehr wenig Welterfahrung verfügte und für einen (angeblich) Gelehrten seiner Zeit bemerkenswert wenig gereist sei. [auf Französisch]
Nachtrag: Annie Jourdan hat eine lesenswerte Rezension zu McPhees Biographie verfasst, in der sie u.a. darauf hinweist, dass Robespierre letztlich über sehr wenig Welterfahrung verfügte und für einen (angeblich) Gelehrten seiner Zeit bemerkenswert wenig gereist sei. [auf Französisch]
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