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Montag, 14. Mai 2012


Brüder im Geiste – Geschwister auf Papier





Fans der Französischen Revolution, die des Englischen nicht mächtig sind bzw. nicht – wie ich – den Glauben schon aufgegeben oder aus sonstigen Gründen die Originalfassung gelesen haben, wird es zu Recht freuen: Hilary Mantels „A Place of Greater Safety“, ein Klassiker der fiktiven Revolutionsliteratur, ist kürzlich in deutscher Übersetzung erschienen: stolze 20 Jahre nach Veröffentlichung der Originalausgabe.


Kein Bruder: Lucile Desmoulins
Da ich, wie gesagt, bereits die englische Ausgabe besitze und darum nicht unbedingt vorhabe, die deutsche Ausgabe ebenfalls zu lesen, kann und will ich zur Übersetzung an sich nichts weiter sagen. Darum nur eine Anmerkung zum Titel. Zugegeben, der Originaltitel, „A Place of Greater Safety“ stellt keine geringe Aufgabe. Der Doppelsinn der „Safety“, in der unmittelbaren Bedeutung von „Sicherheit“, aber auch der englischen Bezeichnung des Wohlfahrtsausschusses, lässt sich nicht einfach einfangen. Dennoch, für welchen Titel haben die Übersetzerinnen sich entschieden? – „Brüder“...

Ich muss schon sagen, da schrillen meine Genderglocken. Ja sicher: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – haha – und am Schluss bringen sie sich gegenseitig um, schon klar. Und gewiss: nominell sind die Hauptpersonen Camille Desmoulins, Georges Danton und Maximilien Robespierre, drei Männer, „Brüder“ also (obwohl der Bund der drei tatsächlich im Roman nicht allzu brüderlich ist). Trotzdem ist es überaus schade, und tatsächlich auch ärgerlich, das auf diese Weise die (mehr oder weniger) tollen Frauen verschwiegen werden, denen Hilary Mantel eine Stimme verleiht, um sie erzählen zu lassen, wie sie in den 1780/1790er Jahren gelebt, geliebt, gelitten und vor allem gekämpft haben. Annette und Lucile Duplessis (letztere verheiratete Desmoulins), Gabrielle Charpentier-Danton, Louise Kéralio, Anne Théroigne und Manon Roland und andere sind dort ganz gewiss nicht weniger präsent und vital als ihre „Brüder“.
Auch kein Bruder: Manon Roland

Die Revolution war auch weiblich, und Hilary Mantel weiß das. Umso unverständlicher, dass die Übersetzerinnen (oder wer tatsächlich für den Titel verantwortlich ist) dies ignorieren und stattdessen in eine patriarchalische Geschichtsschreibung zurückfallen, die spätestens seit der weitreichenden feministischen Aufarbeitung der Revolution anlässlich des Bicentenaire obsolet geworden sein sollte. Hier wird unterstellt, es seien lediglich Männer, die Geschichte schreiben, Männer, die handeln und gestalten. Frauen kommt lediglich die dienende und passive Rolle zu, als Opfer, als Geliebte oder Ehefrau oder, wenn sie denn doch etwas aktiver sind, als Intrigantin. Sie handeln nicht, sondern reagieren, gestalten nicht, sondern dekorieren. Und wenn sie das Wort erheben, so nur, um ohnmächtige Kommentare zur männlichen Geschichtsschreibung zu machen. Das ist zwar ohne Zweifel eine idealtypische aber zutreffende Darstellung patriarchalischer Machtverhältnisse. Die Realität trifft sie jedoch nicht. So passiv die meisten französischen Revolutionäre selber „ihre“ Frauen auch gerne gehabt hätten: Diese waren es nicht. Und gerade die Frauen in Mantels Buch waren es schon gar nicht: Die Salonnière und „Göttin“ der Gironde Manon Roland ebenso wenig wie die Publizistin und Akademikerin Louise Kéralio ebenso wenig wie die Aktivistin Anne Théroigne.
Sie auch nicht: Anne Théroigne

Sie und die anderen Protagonistinnen des Romans hätten wahrlich einen weniger „männlichen“ Titel verdient!

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