Brüder im Geiste – Geschwister auf Papier
Fans der Französischen Revolution, die
des Englischen nicht mächtig sind bzw. nicht – wie ich – den
Glauben schon aufgegeben oder aus sonstigen Gründen die
Originalfassung gelesen haben, wird es zu Recht freuen: Hilary
Mantels „A Place of Greater Safety“, ein Klassiker der fiktiven
Revolutionsliteratur, ist kürzlich in deutscher Übersetzung
erschienen: stolze 20 Jahre nach Veröffentlichung der
Originalausgabe.
Kein Bruder: Lucile Desmoulins |
Da ich, wie gesagt, bereits die
englische Ausgabe besitze und darum nicht unbedingt vorhabe, die
deutsche Ausgabe ebenfalls zu lesen, kann und will ich zur
Übersetzung an sich nichts weiter sagen. Darum nur eine Anmerkung
zum Titel. Zugegeben, der Originaltitel, „A Place of Greater
Safety“ stellt keine geringe Aufgabe. Der Doppelsinn der „Safety“,
in der unmittelbaren Bedeutung von „Sicherheit“, aber auch der
englischen Bezeichnung des Wohlfahrtsausschusses, lässt sich nicht
einfach einfangen. Dennoch, für welchen Titel haben die
Übersetzerinnen sich entschieden? – „Brüder“...
Ich muss schon sagen, da schrillen
meine Genderglocken. Ja sicher: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
– haha – und am Schluss bringen sie sich gegenseitig um, schon
klar. Und gewiss: nominell sind die Hauptpersonen Camille Desmoulins,
Georges Danton und Maximilien Robespierre, drei Männer, „Brüder“
also (obwohl der Bund der drei tatsächlich im Roman nicht allzu
brüderlich ist). Trotzdem ist es überaus schade, und tatsächlich
auch ärgerlich, das auf diese Weise die (mehr oder weniger) tollen
Frauen verschwiegen werden, denen Hilary Mantel eine Stimme verleiht,
um sie erzählen zu lassen, wie sie in den 1780/1790er Jahren gelebt,
geliebt, gelitten und vor allem gekämpft haben. Annette und Lucile
Duplessis (letztere verheiratete Desmoulins), Gabrielle
Charpentier-Danton, Louise Kéralio, Anne Théroigne und Manon Roland
und andere sind dort ganz gewiss nicht weniger präsent und vital als
ihre „Brüder“.
Auch kein Bruder: Manon Roland |
Die Revolution war auch weiblich, und
Hilary Mantel weiß das. Umso unverständlicher, dass die
Übersetzerinnen (oder wer tatsächlich für den Titel verantwortlich
ist) dies ignorieren und stattdessen in eine patriarchalische
Geschichtsschreibung zurückfallen, die spätestens seit der
weitreichenden feministischen Aufarbeitung der Revolution anlässlich
des Bicentenaire obsolet geworden sein sollte. Hier wird unterstellt,
es seien lediglich Männer, die Geschichte schreiben, Männer, die
handeln und gestalten. Frauen kommt lediglich die dienende und
passive Rolle zu, als Opfer, als Geliebte oder Ehefrau oder, wenn sie
denn doch etwas aktiver sind, als Intrigantin. Sie handeln nicht,
sondern reagieren, gestalten nicht, sondern dekorieren. Und wenn sie
das Wort erheben, so nur, um ohnmächtige Kommentare zur männlichen
Geschichtsschreibung zu machen. Das ist zwar ohne Zweifel eine
idealtypische aber zutreffende Darstellung patriarchalischer
Machtverhältnisse. Die Realität trifft sie jedoch nicht. So passiv
die meisten französischen Revolutionäre selber „ihre“ Frauen
auch gerne gehabt hätten: Diese waren es nicht. Und gerade die
Frauen in Mantels Buch waren es schon gar nicht: Die Salonnière und
„Göttin“ der Gironde Manon Roland ebenso wenig wie die
Publizistin und Akademikerin Louise Kéralio ebenso wenig wie die
Aktivistin Anne Théroigne.
Sie auch nicht: Anne Théroigne |
Sie und die anderen Protagonistinnen
des Romans hätten wahrlich einen weniger „männlichen“ Titel
verdient!
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