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Montag, 23. April 2012


Françoise Goupil ou la femme Hébert


Unter den Verurteilten des 24 Germinal II (13. April 1794) interessiert mich seit längerem, neben Anaxagoras Chaumette, die Person der Witwe Héberts. (Lucile Desmoulins, ben, die kennt man ja.) Nun, in den letzten Tagen und Dank der andauernden Fortschritte, was den Zugang zu neuen Internetquellen angeht, habe ich ein wenig zu ihrem Schicksal recherchiert, und voilà mein Ergebnis:


Marie-Marguerite-Françoise Goupil wird 1756, wahrscheinlich im Januar, in Paris geboren. Ihr Vater handelt mit Wäsche („marchand de lingerie“) und stirbt kurz nach der Geburt seiner Tochter. Françoises Mutter, Marie-Louise Morel, seine zweite Frau, führt seinen Handel weiter und stirbt 1781. Françoise wird im couvent de la Conception in der rue Saint-Honoré erzogen. In diesem Kloster war es auch, wo sie den Schleier und den Namen einer „Schwester der Vorsehung“ annahm. Über den Zeitpunkt, wann dies war, gibt es unterschiedliche Ansichten. Einige nehmen an, erst nach dem Tod ihrer Mutter sei Françoise Nonne geworden; Hébert selber schreibt über seine Zukünftige, sie habe „bis jetzt ihr ganzes Leben im Konvent verbracht“, was wohl auch eher der Wahrheit entspricht.

Revolutionärer Frauenclub
Nach der Aufhebung der klösterlichen Gelübde im Frühjahr 1790, verlässt Françoise als Einzige ihres Ordens das Kloster. Sie gibt an, ihrem Gelübde nicht mehr treu bleiben zu können und zieht im Laufe dieses Jahres in eine Wohnung in der rue Saint-Antoine, wo sie recht gut von ihrem Erbe von 600 FF und der staatlichen Zuwendung für ehemalige Ordensangehörige von 700 FF leben kann. Begeistert von den Umwälzungen um sie herum, leidenschaftliche Patriotin, beginnt sie, sich politisch zu engagieren und besucht die Brüderliche Gesellschaft der Patrioten beider Geschlechter (Société fraternelle des Patriotes de l'un et l'autre sexe). Diese Gesellschaft war ursprünglich 1790 entstanden, um das Volk, hierunter Frauen wie Männer, politisch zu bilden, indem Gesetze der Nationalversammlung gelesen wurden. Politisch war der Club mehr oder weniger auf der Wellenlänge der Jakobiner, als volkstümlicher und vor allem von Frauen frequentierte Vereinigung in vielen Dingen unmittelbarer und zunehmend radikaler, so dass er schließlich öfter auf Seiten des Cordeliersclub stand. Zu den Mitgliedern des Clubs zählten die Frühfeministinnen Etta Palm, Pauline Léon und Anne-Josèphe Théroigne, Manon Roland und Louise-Félicité Kéralio, sowie spätere Politiker wie Tallien (der dort zeitweise Präsident war) – und Jacques-René Hébert.

Hébert
Dass ausgerechnet Hébert (Den Papst an die Laterne, die Pfaffen in die Klapse!“) eine ehemalige Nonne heiraten würde, ließ einige Historiker der weniger sensiblen Sorte wilde Vermutungen anstellen: war es ein profaner Grund wie ihr Vermögen, der ihn dazu bewog? Oder nicht doch etwas wie foutre! perverse Wollust, eine Frau zu besitzen, die genau dem Stand angehörte, den er so leidenschaftlich verhöhnte? – Nun ja, kann sein. Aber vielleicht lässt man den 34-jährigen Bräutigam besser einmal selbst zu Wort kommen. Sie sei „ein sehr liebenswertes junges Fräulein [ein Jahr älter als er] und von ausgezeichnetem Charakter“, schreibt er an seine jüngeren Schwestern. Und ja, dass sie eigenes Vermögen hat, freut ihn natürlich auch, denn so könne er „um ihr Schicksal unbesorgt sein, falls der Tod uns trennt.“ Am 7. Februar 1792 werden die beiden kirchlich getraut, die zivile Eheschließung wird erst über ein halbes Jahr später eingeführt. Sie wohnen fortan zusammen in ihrer Wohnung, rue Saint-Antoine, im dritten Stock. Die Ehe ließ sich äußerst glücklich an; Hébert bezeugt: „Es geht mir gut und ich bin glücklich. Mit einer Frau verheiratet, die alle guten Eigenschaften mit den Reizen des Geistes vereinigt, deren Bildung vollendet, der Charakter vollkommen ist, führe ich das süßeste und friedlichste Leben. Meine Zufriedenheit wird nur durch die Sorgen getrübt, die mir das Interesse für mein Vaterland eingibt, welches ich mehr liebe als man ausdrücken kann.“ Seine Frau kann ihrer Schwägerin ebenfalls nur Positives berichten: „Wenn Monsieur Hébert so gut ist, sein Glück in meinem Besitz zu finden, so bin ich es doch, […] die ohne Beschönigung versichern kann, dass ich vollkommen glücklich mit ihm bin, der mir jeden Tag erneut Beweise seiner Zärtlichkeit zu geben versteht. Den teuren Beweis dafür trage ich seit drei Monaten in meiner Brust [!], er [Hébert] möchte gern, dass es mir ähnele und ich meinerseits möchte es [das Kind] so wie seinen Vater: dies ist nun das ewige Thema unserer Meinungsverschiedenheiten. [...]“

Obwohl sie das Kloster verlassen hat, bewahrt Françoise ihren christlichen Glauben, eine Tatsache, die Hébert offenbar zu rechtfertigen glaubt, denn in Briefen stellt er sie bisweilen direkt als „sehr spirituelle“ Frau vor: „Sie hat sich viel Frömmigkeit bewahrt, und da ich sie zärtlich liebe, setze ich dies bezüglich keinesfalls unter Druck, sondern beschränke mich schlicht auf einige Scherze.“ Tatsächlich hängt, laut einem Freund und Besucher des Paares, Desgenettes, an der Wand ein Stich, der Jesus Christus in Emmaus zeigt. Hébert hatte eine Bemerkung darunter geschrieben: „Der Sansculotte Jesus isst mit zwei seiner Schülern im Schloss eines Ehemaligen zu Abend.“

Das Wohnhaus der beiden
Bereits kurz nach der Hochzeit wird Hébert wegen einer seiner despektierlichen Äußerungen festgenommen und dem Friedensrichter vorgeführt. Françoise setzt in der Société Fraternelle alle Hebel in Bewegung und erreicht, dass drei Deputierte des Jakobinerclubs vor dem Gericht vorsprechen, wo Hébert allerdings bereits freigelassen wurde. In den folgenden zwei Jahren unterstützt sie ihn weiterhin bei seiner journalistischen Arbeit am Père Duchesne, erwirbt sich selber den Namen der Mère Duchesne. Sie veranlasst, dass sich Hébert einen neuen Verleger sucht, beteiligt sich an der Finanzierung seines Journals (was ihr ein gewisses Recht zur Begutachtung verleiht), sucht eine neue Wohnung, denn ihr Gatte „ist ein bisschen blöde, wenn er gearbeitet hat“. Auch besucht sie weiterhin die Sitzungen der Société Fraternelle und auch der Commune, und ergreift immer wieder das Wort, auch, um ihrem Mann zu widersprechen. Dennoch teilt sie seine Ansichten zu sozialen und politischen Fragen voll und ganz, die Briefe, die sie an ihre Schwägerinnen schreibt, zeugen davon. (Nun, vielleicht teilt er auch die ihren, man weiß ja nie so genau, sollte aber auch nicht immer nur glauben, es wären die Frauen, die ihren Männern folgen und nicht umgekehrt...)
Ein Jahr nach der Hochzeit, am 7. oder 8. Februar 1793, bringt Françoise die gemeinsame Tochter, Scipion-Virginie, zur Welt. Dies ist vielleicht auch der Grund, warum man aus dem Jahr, welches das letzte ihres Lebens sein wird, nicht mehr viel berichten kann.

Wenige Stunden nach ihrem Mann wird sie im März 1794 festgenommen. Nach dessen Hinrichtung am 24. März fragt sie bei Gericht an, ob sie zu ihrer Tochter zurückkehren dürfe, erhält aber keine Antwort. Anfang April bekommt sie Gesellschaft: Lucile Desmoulins, die Gattin des Mannes, der den ihren auf die Guillotine bringen half. Die beiden Frauen, die 15 Jahre trennt, freunden sich an und finden sich am selben Tag vor Gericht wieder. Nach der Verurteilung erklärt sich die schluchzende, verwirrte Françoise im dritten Monat schwanger, eine Erklärung, der allerdings von Offizieren und der Hebamme des Gefängnisses widersprochen wird. So sitzt sie denn am 24. Germinal zusammen mit der Witwe Desmoulins, mit der sie sich im Gefängnis angefreundet hatte, im Wagen zur Guillotine. Nach einigen Zeugnissen hätten die beiden, gleichgültig ihrem Schicksal gegenüber, miteinander geplaudert. Nach anderen ist sie mehr tot als lebendig und muss mehr oder weniger aufs Schafott getragen werden.

Scipion-Virginie wird von einem Halbbruder ihrer Mutter und nach dessen Tod von einer Pflegefamilie erzogen, später wird sie Lehrerin und stellvertretende Rektorin an einer Schule, heiratet mit 16 Jahren einen evangelischen Pfarrer und stirbt am 11. Juli 1830. Ihre Nachkommen sterben ohne Kinder, sodass die Linie Hébert/Goupil mit deren Enkeln erlischt.


Quellen:
- Paul d' Estrée: Le Père Duchesne: Hébert et la commune de Paris (1792-1794). Paris 1908 
- Jacques-René Hébert/ Peter Priskil: Den Papst an die Laterne, die Pfaffen in die Klapse! Schriften zu Kirche und Religion   1790-1794. Freiburg 2003
- Camille Naish: Death Comes to the Maiden: Sex and Execution, 1431-1933. New York 1991
- Marina Grey: Hébert. Le "Père Duchesne" agent royaliste, Paris 1983.
- François Wartelle: "Société Fraternelle des Patriotes de l'un et l'autre Sexe", in: Albert Soboul: Dictionnaire historique de la Révolution française. Paris 1989



1 Kommentar:

  1. Ich finde es doch immer wieder erstaunlich, was das Internet alles möglich macht, so viel über eine Person herauszufinden, die in zugänglichen Büchern womöglich nur mal am Rande erwähnt wird.
    Abgesehen davon, dass Francoise Goupil einmal Nonne war und wohl auch später noch recht fromm, was ja nichts verwerfliches ist, hatte sie durchaus ein interessantes Leben als engagierte Patriotin und Frau eines Revolutionärs, was dann aber jäh endete...traurig, traurig...damals endeten viele Leben, sehr viele....

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