Brief Maximilien Robespierres an seinen Freund, Antoine Buissart, und dessen Frau aus Carvin.
Nun, ich habe einen halben Tag damit zugebracht, einen Brief des 25-jährigen Maximilien Robespierre aus dem Französischen zu übersetzen. Ich hoffe, ich habe keine schlimmen Schnitzer gemacht, hatte aber jedenfalls viel Spaß dabei (besonders bei dem Gedicht, welches ich - jawohl! - sowohl übersetzt als auch gereimt habe).
Wir erleben hier Maximilien als jungen Anwalt, eine faszinierende Mischung aus antiquisierendem Bildungsbürger und jugendlichem Scherzkeks. Im Juni 1783 unternahm er eine Reise in die Geburtsstadt seines Großvaters, Carvin, nördlich von Arras. Laut der französischen Wikipedia verbrachte er die Pfingstfeiertage bei den dort noch lebenden Vettern. Die Datenangaben im Brief selber legen dies nahe: Pfingsten 1783 war am 8. und 9. Juni, Maximilien müsste am Freitag, den 6. Juni angekommen sein, der Samstag vor dem 12. Juni findet Erwähnung.
Nun aber viel Vergnügen beim Lesen fremder Leute Briefe!
Monsieur,
Es gibt keine angenehmen Freuden, wenn
man sie nicht mit seinen Freunden teilt. Also werde ich Ihnen ein
Bild malen von den Freuden, die ich seit einigen Tagen koste.
Erwarten Sie keinen Reisebericht von
mir, Werke dieser Art gibt es seit einigen Jahren in solcher Menge,
dass das Publikum ihrer satt sein dürfte. Ich kenne einen Autor, der
eine Reise von fünf Meilen machte und sie in Vers und Prosa pries.
Von Arras über Lens nach Carvin. |
Was ist jedoch dieses Unternehmen im
Vergleich zu dem, welches ich vollbracht habe? Ich bin nicht nur fünf
Meilen gefahren, sondern derer sechs, noch dazu sechs so gute, dass
die Leute dieses Landes behaupten, sie wären sieben gewöhnliche
Meilen wert.1
Dennoch werde ich Ihnen kein Wort von meiner Reise erzählen. Es
ärgert mich für Sie, denn Sie selber verlieren dadurch, es entgehen
Ihnen unendlich interessante Abenteuer: die des Odysseus und
Telemachos sind nichts dagegen.
Es war fünf Uhr am Morgen, als wir
aufbrachen; das Gefährt, das uns just in dem Augenblick, da die
Sonne sich aus dem Busen des Ozeans erhob, zu den Stadttoren hinaus
trug, das also war mit einem Tuch von strahlenden Weiß geschmückt,
dessen Ende im Atemzug des Zephyrs hinterher flatterte; und so zogen
wir im Triumph an den Dächern der Landarbeiter vorbei. Sie können
sich schon denken, dass ich nicht umhin kam, mich nach dieser Seite
herumzudrehen, ich wollte sehen, ob diese Wächter des Hofes dem
altehrwürdigen Ruf ihrer Ehrlichkeit gerecht würden, und ich
selber, getragen von edlem Nacheifern, wagte mir zum Ruhme
vorzustellen, dass ich sie in Höflichkeit schlagen könnte, wenn
dies den möglich sein sollte. Ich lehnte mich aus dem Fenster,
setzte den neuen Hut, den ich trug, auf's Spiel, indem ich sie mit
freundlichem Lächeln grüßte, ich hoffte auf eine anständige
Erwiderung. Glauben Sie's? Diese Arbeiter standen stockstill,
betrachteten mich festen Blicks ohne mir meinen Gruß zukommen zu
lassen! Ich hatte ja schon immer eine unendliche Eigenliebe; dieses
Zeichen der Geringschätzung verletzte mich zutiefst und gab mir für
den Rest des Tages eine unerträgliche Stimmung.
Währenddessen beförderten und unsere
Pferde mit einer Geschwindigkeit, die man sich nicht vorstellen kann.
Sie schienen mit der Leichtigkeit der Pferde des Sonnenwagens
konkurrieren zu wollen, der über unseren Köpfen flog; so wie ich
selber ja auch die Landarbeiter vor den Toren von Méaulens
herausgefordert hatte. Mit einem Satz überqueren sie die Vorstadt
Sainte-Catherine, sie taten einen zweiten, und wir standen auf dem
Marktplatz von Lens; in dieser Stadt nahmen wir einen kurzen
Aufenthalt. Ich nutzte die Gelegenheit, die Schönheiten anzusehen,
die Lens dem wissensdurstigen Reisenden bietet. Während die übrige
Reisegesellschaft zu Mittag aß, stahl ich mich davon und stieg auf
den Hügel, auf dem der Kreuzweg nachgebildet ist; von dort ließ ich
meine Blicke mit einem Gefühl, in dem sich Zärtlichkeit und
Bewunderung mischten, über diese weite Ebene wandern, wo Condé als
Zwanzigjähriger diesen berühmten Sieg über die Spanier errang, der
das Vaterland rettete.2
Aber dann fesselte ein noch viel interessanteres Ziel meine
Aufmerksamkeit: es war das Rathaus. Dieses zeichnet sich weder durch
seine Größe noch durch seine Pracht aus, doch kam ihm wohl zu, mein
lebhaftestes Interesse zu wecken; in diesem so bescheidenen Gebäude,
dachte ich bei mir indem ich es betrachtete, befindet sich das
Heiligtum, wo der Bürgermeister T--, die runde Perücke auf dem Kopf
und die Waage der Themis3
in der Hand, dereinst mit Unparteilichkeit das Recht seiner Mitbürger
abwog. Als Justizminister und Liebling des Aeskulap sprach er erst
Recht und stellte dann ein Rezept aus. Der Verbrecher und der Kranke
empfanden den gleichen Schrecken vor ihm, und dieser doppelte Titel
stattete diesen großen Mann mit der größten Macht aus, die je ein
Mensch über seine Mitmenschen ausüben konnte.
Hôtel de Ville, Lens. |
In meinem Enthusiasmus ließ es mir keine Ruhe, ehe ich nicht ins Innere des Rathauses eingedrungen war. Ich wollte den Anhörungssaal sehen, ich wollte das Tribunal sehen, wo der Magistrat tagt. Ich lasse also den Schließer in der ganzen Stadt suchen – er kommt – er öffnet – ich stürze mich auf den Anhörungssaal. Von religiöser Ehrfurcht ergriffen, falle ich in diesem erhabenen Tempel auf die Knie und küsse mit Hingebung den Sitz, auf dem sich einst der Hintern des großen T-- breit gemacht hatte. So hatte sich Alexander vor dem Grab des Achilles zu Boden geworfen und Caesar dem Denkmal die Ehre erwiesen, das die Asche des Eroberers Asiens einschloss.
Wir stiegen wieder in unseren Wagen,
und kaum hatte ich es mir auf meinem Strohbündel bequem gemacht, als
sich Carvin vor meinen Augen auftat; und beim Anblick dieses
glücklichen Bodens stießen wir einen Freudenschrei aus, der dem
glich, den die Trojaner vor der Küste Italiens ausstießen, als die
gerade dem Desaster in Ilium entkommen waren.
Die Dorfbewohner bereiteten uns einen
Empfang, der uns gut für die Gleichgültigkeit der Arbeiter in
Méaulens entschädigte. Bürger aller Klassen zeigten regen Eifer,
uns zu sehen, der Schuster ließ sein Werkzeug fallen, mit dem er
gerade eine Sohle durchbohren wollte, um uns müßig zu betrachten;
der Friseur ließ eine halb fertige Rasur im Stich und lief auf uns
zu, das Rasiermesser noch in der Hand; die Hausfrau setzte sich der
Gefahr aus, ihre Kuchen zu verbrennen, um ihre Neugier zu stillen.
Ich habe drei Gevatterinnen gesehen, die eine sehr angeregte
Unterhaltung unterbrachen, um ans Fenster zu fliegen; endlich
genossen wir während der Durchfahrt, die ach! zu kurz war, die
schmeichelhafte Befriedigung unserer Eigenliebe, als sich zahlreiches
Volk um uns bekümmerte. Wie süß ist es zu reisen, sagte ich bei
mir! Man hat wohl recht zu sagen, dass der Prophet im eigenen Lande
nichts gilt, an den Pforten Ihrer Stadt verachtet man Sie; sechs
Meilen weiter werden Sie eine der öffentlichen Neugier würdige
Persönlichkeit.
Solcherart waren meine weisen
Überlegungen, als wir das Haus erreichten, das den Endpunkt meiner
Reise darstellte. Ich versuche gar nicht erst, Ihnen die Wallungen
von Zärtlichkeit zu beschreiben, die nun aus unseren Umarmungen
ausbrachen: dieses Spektakel ließe Sie in Tränen ausbrechen. Ich
kenne in der ganzen Geschichte nur eine einzige Szene dieser Art, die
man als Vergleich anführen könnte; Als Aeneas nach dem Sieg über
Troja mit seiner Flotte in Epirus an Land ging, fand er dort Helenos
und Andromache vor, die das Schicksal auf den Thron Pyrrhus' gesetzt
hatte. Man sagt, ihr Treffen sei allzu zärtlich gewesen. Ich
zweifele nicht daran. Aeneas mit seinem ausgezeichneten Herz,
Helenos, der beste Trojaner der Welt und Andromache, die empfindsame
Gattin des Hektor, vergossen viele Tränen, seufzten gar viel bei
dieser Gelegenheit; ich würde gerne glauben, dass ihre Zärtlichkeit
die unsere nicht in die Schranken weist, aber Helenos, Aeneas,
Andromache und wir – da muss man wohl das Handtuch werfen.
Seit unserer Ankunft waren alle unsere
Augenblicke mit Vergnügungen gefüllt.
Seit letzten Samstag esse ich
unablässig Kuchen. Das Schicksal wollte, dass mein Bett in einer
Kammer steht, die auch als Lager der Konditorei dient: das hieß so
viel wie mich der Versuchung auszusetzen, die ganze Nacht durch zu
essen; aber ich habe nachgedacht, dass es schön ist, seine
Leidenschaften zu beherrschen, und so habe ich inmitten all dieser
verführerischen Dinge geschlafen. Natürlich habe ich mich am Tage
für diese lange Abstinenz entschädigt.
Robespierre 1783, von Boilly. |
Oh, dich segne ich, der mit geschickter
Hand
Gefügigen Teig zu kneten verstand,
Den Sterblichen Köstliches gegeben
hat.
Doch dankten sie dir die teure Tat?
Von deiner Himmelsgabe angesteckt,
Hat Ruhm denn ihren Eifer geweckt?
Hundert Völker vergeuden Weihrauch und
Schwur
und füllen Olymp und Tempel doch nur;
An den erhab'nen Genius hat niemand
gedacht,
Der ihnen Ambrosia auf Erden gebracht.
Auf Festtafeln herrscht der Kuchen
lecker,
Doch denkt wohl jemand an seinen ersten
Bäcker?
Von allen Arten der Undankbarkeit,
derer sich das Menschengeschlecht schuldig gegenüber seinen
Wohltätern gemacht hat, war es genau diese, die mich immer
aufgebracht hat; die Strafe gebührt den Artesianern, denn nach dem
Urteil von ganz Europa sind sie es, die von allem Völkern der Welt
den Wert eines Kuchens am besten kennen. Ihr Ruhm verlangt es, dass
sie einen Tempel zu Ehren seines Erfinders bauen. Unter uns gestehe
ich Ihnen sogar, dass ich hierüber bereits ein Projekt entworfen
habe, welches ich dem Rat von Artois vorstellen möchte. Ich zähle
darauf, dass es vom Klerus mächtig unterstützt wird.
Es reicht aber nicht, Kuchen zu essen,
man muss ihn auch in guter Gesellschaft essen; diesen Vorteil hatte
ich. Gestern erhielt ich die höchsten Ehren, nach denen ich jemals
streben könnte: ich habe mit drei Leutnants und dem Sohn eines
Vogtes zu Abend gegessen, die ganze Magistratur der Nachbardörfer
war an unserem Tisch versammelt. Inmitten dieses Senats glänzte der
Herr Leutnant von Carvin wie Kalypso inmitten ihrer Nymphen. Ach!,
wenn Sie gesehen hätten, mit welcher Güte er mit den übrigens der
Gesellschaft plauderte, als wäre er ein gewöhnlicher Sterblicher,
mit welcher Nachsicht er den Champagner beurteilte, den man ihm
einschenkte, mit welch zufriedener Miene er sein Abbilde anzulächeln
schien, das sich in seinem Glas abzeichnete! All das habe ich mit
eigenen Augen gesehen...
Und dennoch ist es so schwer, das
menschliche Herz zu erfreuen. Noch sind meine Gelübde noch nicht
erfüllt und ich bereite mich auf meine baldige Rückkehr nach Arras
vor, ich hoffe, dass Sie zu sehen mir ein wirklicheres Vergnügen
bereiten wird als die, von denen ich Ihnen erzählt habe. Wir werden
uns mit der selben Befriedigung wieder sehen, wie sie Odysseus und
Telemachos nach zwanzig Jahren der Abwesenheit empfunden haben
müssen. Es wird mir keine Mühe bereiten, meine Vögte und Leutnants
zu vergessen. So verlockend ein Leutnant auch sein kann, glauben Sie
mir, Madame, er könnte Ihnen niemals das Wasser reichen.
Sein Gesicht, selbst wenn es der
Champagner mit zarter Röte färbt, bietet längst nicht den Reiz,
den die Natur allein dem Ihren verliehen hat, und die Gesellschaft
aller Vögte des Universums könnte mich nicht für Ihre
liebenswürdige Unterhaltung entschädigen.
Ich verbleibe mit der aufrichtigsten
Freundschaft, Monsieur, Ihr sehr ergebener und gehorsamer Diener.
De Robespierre.
In Carvin, am 12. Juni 1783.
1 Die
Strecke, auf der Robespierre reiste, ist etwa 30 km lang.
2 Tatsächlich
war Louis Prince de Condé (1621-1686) bei der Schlacht von Lens,
die am 20. August 1648 stattfand, bereits knapp 27 Jahre alt.
3 Griechische
Göttin der Gerechtigkeit.
Tatsächlich schreibt Robespierre sehr witzig und eigenironisch.....dass er sich trotz seiner Eigenliebe, wie er sie selbst deutlich beschreibt, auf die Schippe nehmen kann, brachte mich beim Lesen des Briefes sehr zum Schmunzeln. Am Witzigsten finde ich eigentlich seine Kuchenverehrung, besonders der Teil, in dem er sich für die nächtliche Abstinenz belohnt...es ist ja nicht so, dass man im Schlaf ohnehin nichts essen kann :-D....und dass er ein Gedicht über das Kuchenbacken schreibt zeugt entweder, wie schon erwähnt von stark ausgeprägtem Humor oder von einer kuriosen Ader, die er sicher auch hatte....im Grunde trifft also beides zu....
AntwortenLöschen